Washington/gc. Eine Mehrheit der amerikanischen Juden unterstützt gemäß Meinungsumfragen eine Zweistaatenlösung für Israel und Palästina. Nun gibt es in Washington auch eine Lobby-Organisation, die unter den amerikanischen Politikern den Weg für eine solche Verständigung ebnen will. Eindrücke vom ersten Kongress von J Street.
Der Unterschied könnte größer kaum sein: Als die jüdische Lobby-Organisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) im Frühling 2009 in Washington zur jährlichen Zusammenkunft rief, ließen sich Israels Spitzenpolitiker nicht lange bitten. Sowohl Präsident Schimon Peres als auch Regierungschef Benjamin Netanjahu nahmen die Einladung von AIPAC dankend an. J Street hingegen, eine im April 2008 gegründete Lobby-Gruppe von linken amerikanischen Juden, traf in Jerusalem auf verschlossene Türen.
Peres lehnte die Einladung zu einem Auftritt an der ersten nationalen Konferenz im Oktober 2009 unter Hinweis auf „andere Verpflichtungen“ dankend ab. Weniger diplomatisch formuliert war die Absage der israelischen Regierung. Botschafter Michael Oren ließ ausrichten, die Ziele von J Street „laufen den Interessen Israels zuwider“.
Jeremy Ben-Ami, der Geschäftsführer von J Street, lässt sich durch solche Rückschläge nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, sagte er im Gespräch am Rande der Konferenz in Washington – die Gesprächsverweigerung der Regierung Netanjahu zeige, wie dringend die mehrheitlich progressiven amerikanischen Juden eine Organisation wie J Street benötigten.
„Dank uns hat sich eine sehr, sehr nützliche Debatte entbrannt“, sagte Ben-Ami, die sich im Kern um die Tabu-Frage dreht, wie hart westliche Sympathisanten Israel angehen können. J Street stellt sich auf den Standpunkt, dass konstruktive Kritik an der Regierung in Jerusalem nicht gleichzusetzen sei mit Hass oder Antisemitismus. Deshalb lasse es sich seine Organisation nicht nehmen, dann scharfe Kritik zu üben, wenn die Regierung Fehler begehe und das Ziel eines friedlichen Nebeneinanders von Israelis und Palästinensern aus den Augen verliere. Schließlich heiße der Leitspruch von J Street „Für den Frieden, für Israel“, sagte Ben-Ami.
Einige Stunden später, während einer Podiumsdebatte zwischen Ben-Ami und dem liberalen Rabbi Eric Yoffie – er präsidiert die Union for Reform Judaism, die größte progressive Gruppierung innerhalb der jüdischen Gemeinde in den USA –, zeigte sich, wie sich das in der Praxis anhört. Zur Debatte stand der Untersuchungsbericht von Richard Goldstone zu mutmaßlichen Menschenrechtsverstößen während des israelischen Vergeltungsschlages in Gaza zu Jahresbeginn. Yoffie, ansonsten ein Mann der leisen Worte, verurteilte Goldstone in Bausch und Bogen. Sein Bericht sei unakzeptabel, sagte er, weil es ihm nur darum gegangen sei, Israel an den Pranger zu stellen. „Er sollte sich dafür schämen.“ Für dieses Votum wurde Yoffie von den J-Street-Sympathisanten im Versammlungsraum ausgebuht.
Ben-Amis Standpunkt zum Goldstone-Bericht hingegen fiel weit differenzierter aus. Er kritisierte, wie der Untersuchungsbericht erstellt und innerhalb der Uno-Gremien behandelt wurde. Er sagte aber auch: „Das sollte uns nicht davon abhalten, die Vorwürfe ernst zu nehmen.“ Ben-Ami forderte deshalb die israelische Regierung auf, eine unabhängige Untersuchung in die Wege zu leiten. Das Publikum – etwa 1000 Personen – klatschte begeistert.
Solche Szenen sorgen unter außenpolitischen Traditionalisten, die für die enge Bande zwischen den USA und Israel einstehen, für Argwohn. Nationale Parlamentarier beider Lager ließen sich deshalb auf der Konferenz nicht blicken. Die Regierung Obama, die ebenfalls für eine Zweistaatenlösung einsteht, war einzig mit dem nationalen Sicherheitsberater Jim Jones vertreten. Die Konservativen führen derweil eine eigentliche Schmutzkampagne.
Meinungsmagazine wie der „Weekly Standard“ werfen J Street unverhohlen vor, die Gruppe sei eine Fünfte Kolonne der Palästinenser – was sich auch an der hohen Zahl der arabisch-amerikanischen Sympathisanten zeige. Ben-Ami schüttelte angesichts dieser Breitseite nur den Kopf. „Es ist Zeit für eine ehrliche Debatte“, sagte er bestimmt.
Dieser Artikel wurde am 27. Oktober 2009 verfasst.Autor:Renzo Ruf U.S.-Korrespondent
Washington, DC
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