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Deutschland Wissenschaft Pressemitteilung
Riskante Saat
Gentechnik-Weizen-Freisetzung in Mecklenburg-Vorpommern
Redaktion: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Eingestellt am  19.04.2011 Aktualitätsende 26.04.2011
Dieser Beitrag kann im vollem Umfang kostenlos und frei genutzt werden, wenn www.german-circle.de als Quelle genannt wird.

Schwerin/gc. Am Montag, 18. April 2011, wurde in Mecklenburg-Vorpommern gentechnisch veränderter Weizen  ausgesät.

Den Freisetzungsversuch hätte das Bundesamt für  Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nicht genehmigen dürfen. Dies kritisierten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der ökologische Anbauverband Naturland. Den Antrag für den Freisetzungsversuch hatte die  Uni Rostock gestellt.

Dieser sei jedoch größtenteils von einem zehn Jahre alten Freisetzungsantrag der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich abgeschrieben worden, ohne die Quelle zu nennen und ohne Ergebnisse neuer wissenschaftlicher Studien zur Gentechnik zu berücksichtigen, so die Verbände.

Laut Gentechnikrecht muss ein Antrag auf Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen. Die Freisetzung des Weizens wurde trotz dieser Mängel vom BVL für die Jahre 2011 bis 2013 bewilligt.

Corinna Cwielag, Landesgeschäftsführerin des BUND  Mecklenburg-Vorpommern: „Es ist völlig unverständlich, warum die Genehmigungsbehörde den Antrag der Universität Rostock überhaupt bewilligt hat. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat gleich zweimal wissenschaftliche Standards komplett ignoriert. Sie hat einen kopierten Antrag ohne Quellenangabe akzeptiert und sie hat sich nicht an die Vorgabe des Gentechnikgesetzes gehalten. Dies stellt die Glaubwürdigkeit des BVL in Frage.“

Der Gentechnik-Weizen wurde in Thulendorf (Mecklenburg-Vorpommern) ausgesät. Der Gentechnik-Weizen soll eine erhöhte Resistenz gegen Pilzerkrankungen wie Flug- oder Stinkbrand besitzen. Diese Erkrankung stört die Ährenentwicklung bei Getreide. Bedarf für den Weizen gebe es jedoch nicht, so die Verbände. Denn die Pilzerkrankung verursache kaum wirtschaftliche Schäden und für den biologischen Anbau existierten  bereits Sorten mit weitgehender Pilzresistenz.

Annemarie Volling von der AbL erklärte: „Für Gentechnik-Weizen gibt es keinen Markt. Niemand wird Brot aus Gentechnik-Weizen essen. Statt ein Gentechnik-Produkt zu entwickeln, das wirtschaftlich unsinnig und wissenschaftlich zweifelhaft ist, sollten die Forschungsgelder zur Weiterentwicklung qualitativ hochwertiger, gesunder konventioneller und biologischer Sorten genutzt werden. Es gibt keinen einzigen Grund, das auch vom BVL eingeräumte Risiko einer Ausbreitung der gentechnisch  veränderten Weizenpflanzen von Thulendorf aus in Kauf zu nehmen.“

Kontakte:
Corinna Cwielag
Landesgeschäftsführerin des BUND Mecklenburg-Vorpommern
Tel.: 0385-521 33 912

Annemarie Volling
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
Tel.: 04131-400 720

Siegrid Herbst
Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut)
Tel.: 0511-924 00 18 37

Aussender:
BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland)
Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Wismarsche Straße 152
19053 Schwerin
Corinna Cwielag
Landesgeschäftsführerin
Tel.: 0385-52 13 39 12
Fax: 0385-52 13 39 20
corinna.cwielag@bund.net
http://www.bund-mv.de

Hintergrundpapier zur Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen in Thulendorf (Mecklenburg-Vorpommern) und Üplingen (Sachsen-Anhalt) 18. April. 2011

Am 16. März 2011 erteilte das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine Genehmigung für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen. Die Universität Rostock darf nun in den Jahren 2011 bis 2013 transgene pilzresistente Weizenpflanzen anbauen, die auf ihre Widerstandskraft gegen den Weizenflugbrand geprüft werden sollen. Daneben sollen die Auswirkungen des Gentechnik-Weizens auf die Umwelt untersucht werden. Laut dem Antrag von Projektleiterin Prof.

Inge Broer soll der Anbau der statistischen Absicherung von Daten eines fast identischen Versuches dienen, der in den Jahren 2009 bis 2010 durchgeführt wurde. Die Freisetzungsfläche soll 108 m² pro Standort betragen. Freigesetzt werden die Pflanzen auf dem Gelände des Gentechnik-Schaugartens in Üplingen (Sachsen-Anhalt) sowie auf dem Gelände des AgroBioTechnikums in Thulendorf (Mecklenburg-Vorpommern).


Umwelt-, Bauern- und Saatgutorganisationen kritisieren zehn Jahre alten, abkopierten Freisetzungsantrag und unrichtige Angaben

Der BUND, der NABU, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Naturland, die IG Saatgut, IG Nachbau und andere Organisationen, Unternehmen und Initiativen hatten im Januar 2011 Einwendungen gegen den Versuch erhoben.

Im Zentrum der Kritik: Verstoß gegen wissenschaftliche und gesetzliche Maßstäbe durch die Antragstellerin

Antrag abgeschrieben: Bei einem Großteil der sicherheitsrelevanten Teile des Antrags handelt es sich um die nicht gekennzeichnete Abschrift eines Freisetzungsgesuchs, das die ETH Zürich bereits vor mehr als zehn Jahren in der Schweiz gestellt hat. D.h. auch, die zugrunde liegende Risikobewertung der Antragstellerin beruht auf den Kenntnissen von vor zehn Jahren. Das Gentechnikgesetz verlangt jedoch, dass die Risikobewertung und die daraus folgenden Sicherheitsvorkehrungen dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen. Im GenTG (§ 16 Abs. 1 Nr.2 GenTG,) heißt es: „Die Genehmigung für eine Freisetzung ist zu erteilen, wenn gewährleistet ist, dass alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.“

Das Bundesverfassungsgericht definierte 1978 in der „Kalkar-Entscheidung“ „den Stand von Wissenschaft und Technik“: „Es muss diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Lässt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt.“ Damit ist der Antrag der Universität Rostock nicht nur wissenschaftlich unseriös sondern auch nicht genehmigungsfähig.

Zuverlässigkeit der Antragstellerin: Das Gentechnikgesetz setzt wie bei vielen genehmigungspflichtigen, insbesondere gefahrgeneigten Projekten, die Zuverlässigkeit des Antragstellers voraus. In die Prüfung muss insbesondere die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen des Gentechnikgesetzes einfließen. Die Einwender machten eine Reihe von Verstößen geltend. Der Antrag enthält unrichtige und widersprüchliche Angaben über den Freisetzungszweck. So wird argumentiert, dass in der Freisetzung, die ebenfalls mit dem identischen Antrag in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt wurde, aufgrund von schlechtem Wetter und der Inaktivität von Pilzkulturen teils keine Daten erhoben werden konnten.
Diese Daten müssten daher in der aktuell genehmigten Folgefreisetzung erhoben werden.

Dagegen wird in den freisetzungsbegleitenden Zwischenberichten an das BVL von reibungslosen Probenahmen berichtet, die lediglich durch Vandalismus im Jahr 2009 eingeschränkt worden seien. In einem Bericht über die Freisetzung im Jahre 2010 wird die mangelnde Sorgfalt im Umgang mit gesetzlichen Bestimmungen noch deutlicher. Hier hat die Projektleiterin bei der Darstellung der Sicherheitsmaßnahmen ganze Passagen aus einer Freisetzung mit transgenen Kartoffeln (!) einkopiert.

In dem Zwischenbericht zur Freisetzung heißt es unter anderem: „Der Überwachungsplan sichert die Überwachung der Auswirkungen der transgenen Kartoffelpflanzen auf die Umwelt. Mit regelmäßigen Kontrollgängen werden der Ausbreitung transgener Kartoffeln sowie Veränderungen von biotischen Wechselwirkungen mit phytophagen Insekten und Wirbeltieren einem Monitoring unterzogen.“

Auch der Antragszweck einer Untersuchung so genannter Nichtzielorganismen ist nicht nachvollziehbar. Obwohl in den Zwischenberichten der Universität an das BVL die „Biologische Sicherheitsforschung“ sogar als ein zentrales Thema der Freisetzung genannt wird, werden in keinem der Berichte aus den Jahren 2009 und 2010 Angaben zu solchen Untersuchungen gemacht, die über das bloße Zählen von Insekten an den transgenen Pflanzen hinaus gehen. Da die Versuchsflächen zudem von 72 auf drei bzw. vier Quadratmeter reduziert wurden, steht die statistische Aussagekraft und damit die Überprüfung dieser Daten in Frage. Auch diese wesentliche Veränderung des Versuchsdesigns wurde in keinem Zwischenbericht erläutert.

Die Einwender haben Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sowie die jeweiligen Landwirtschaftsminister, die  zuständigen Bundesbehörden und -gremien sowie die zuständigen Behörden der genannten Bundesländer vor Erteilung der Genehmigung über alle Einwände informiert und eine Ablehnung des Antrags der Universität Rostock gefordert. Weder Landwirtschaftsministerium noch Behörden sind eingeschritten.

Genehmigungsverfahren ist eine Farce
Wie der Genehmigungsbescheid und vorliegende Schreiben des BVL zeigen, hat die Genehmigungsbehörde wissentlich unrichtige Aussagen der Antragstellerin akzeptiert. Im Zuge der Vollständigkeitsprüfung des Antrags hatte die Behörde von der Antragstellerin eine Stellungnahme zu deren Aussage gefordert, es keine Auswirkungen auf Nichtzielorganismen festgestellt worden. Das BVL wies dabei darauf hin, dass an anderer Stelle darauf hingewiesen werde, dass derartige Untersuchungen noch nicht ausgewertet seien. Die Aussage wurde von der Antragstellerin jedoch offenbar bestätigt und vom BVL als zutreffend akzeptiert. Sie findet sich auf jeden Fall sowohl in dem vom BVL nach Klärung dieses Sachverhalts am 26.10.2010 für vollständig erklärten Antrag als auch in den Berichten der Universität zu den Anbaujahren 2009 und 2010. Aus dem Genehmigungsbescheid des BVL vom 16.3.2011 geht dagegen hervor, dass dass derartige Untersuchungen nicht vorliegen. Dort heißt es: „Die bisherigen Ergebnisse zu Wechselwirkungen der gentechnisch veränderten Weizenlinien mit Nichtziel-Organismen entstammen den Vorversuchen in der Schweiz.“ Zudem verlangte das BVL trotz entsprechender Forderungen des ebenfalls am Verfahren beteiligten Bundesamtes für Naturschutz (BfN) von der Antragstellerin keine Aufklärung über die Herkunft der veralteten Daten und die Quellen des Antrags. Im Genehmigungsbescheid geht das BVL auf die geäußerten Kritikpunkte nur oberflächlich ein. So führt der von den Einwendern erbrachte wissenschaftliche Beleg, dass Weizenpollen bedeutend weiter fliegen als von der Universität Rostock in der Risikobewertung vorausgesetzt (50 m), nur zu einer reinen Alibiänderung der Sicherheitsauflagen. Der Sicherheitsabstand wird nicht erweitert, stattdessen ist laut Genehmigungsbescheid Weizen „aus dem Bereich bis zu 150 m von der Freisetzungsfläche exemplarisch auf das Vorhandensein von Auskreuzungsereignissen zu untersuchen“. Diese Nebenbestimmung ist wissenschaftlich unseriös, denn Vorgaben zu Probennahme und Messmethodik fehlen vollständig. Sie ist zudem rechtswidrig, da sie in keinem Verhältnis zu der zu Grunde gelegten Risikobetrachtung steht. Es wird damit eingeräumt, dass ein Isolationsabstand von 50 m als Sicherheitsvorkehrung nicht ausreicht. Wenn diese Sicherheitsvorkehrungen jedoch nicht ausreichen, wird diese mangelnde Sicherheitsvorkehrung durch „exemplarische Prüfungen“ nicht ersetzt.

Aus der Stellungnahme des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) vom 11. 2. 2011 „Ergebnisse zur Größe der Freisetzung in den vorherigen Versuchen von 2009 und 2010 und der Testung von nur einer Linie in den Freisetzungen von 2009 sind dem
BfN erst nach der Erklärung der Vollständigkeit bekannt geworden. Im Antrag sind diese Punkte nicht berichtigt worden. Der wissenschaftliche Stil des Antrages, der Umgang in der Bewertung von Risiken im Antrag und die fehlende Transparenz und Vollständigkeit der Darstellung der Ergebnisse in Zwischenberichten aus früheren Freisetzungen, lässt an der Zuverlässigkeit und Sorgfältigkeit der Antragstellerin zweifeln und ist damit bei der Zulassung zu berücksichtigen.“

Enge Verzahnung zwischen Behörden und Antragstellerin
Die Genehmigung des Antrags wirft auch aufgrund der engen Beziehung der Projektleiterin der Universität Rostock, Prof. Inge Broer, zu Landes- und Bundesbehörden ein beunruhigendes Licht auf das nationale Genehmigungsverfahren für Gentechnik-Freisetzungen. Prof. Broer ist unter anderem Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Umweltministeriums Mecklenburg-Vorpommern, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Forsten Mecklenburg-Vorpommern, Mitglied der Arbeitsgruppe ‚Anbaubegleitendes Monitoring’ des Julius-Kühn-Instituts (in dem auch Vertreter des BVL sitzen) sowie Leiterin der Ad hoc Arbeitsgruppe Gentechnik des Umweltministeriums MV. Sie veröffentlicht zudem regelmäßig wissenschaftliche Artikel mit dem beim Julius-Kühn-Institut beschäftigten und ebenfalls für Stellungnahmen zu Freisetzungsverfahren zuständigen Prof. Joachim Schiemann.

Die Forscherin Broer ist zusätzlich Mitglied des Informationskreises Gentechnik des Bundes Deutscher Pflanzenzüchter, Mitglied des Kuratoriums des Saatgutkonzerns Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) und Vorsitzende des Gentechnik-Lobbyvereins FINAB. Sie ist als Erfinderin von Patenten auf Gentechnik-Pflanzen genannt, die unter anderem der Bayer-Konzern hält (ES2290974T, ES2296318T, US2005081267; US5668297, EP0869182, DE3923085).

Es drängt sich bei diesem Freisetzungsantrag auch aufgrund der nicht durchgesetzten Nachforderung des BVL und der Antwortschreiben der Landesministerien der Eindruck auf, dass wissenschaftliche Qualität von Anträgen und die Erfüllung gesetzlicher Mindestanforderungen nur von sekundärem Interesse sind und die Nähe zwischen Forschern und Behörden den Ausgang von Genehmigungsverfahren vorweggenommen hat.

Gentechnik-Zentrum Universität Rostock
Die Universität Rostock ist seit Jahren das Zentrum von gentechnischen Freilandversuchen. Die Versuche werden auf dem Gelände des vom Land Mecklenburg-Vorpommern betriebenen  AgroBioTechnikums in Thulendorf bzw. auf dem Gelände des Gentechnik-Schaugartens in Üplingen durchgeführt. Aktuell finden dort unter anderem Versuche mit Plastik bzw. Tierimpfstoffe produzierenden Kartoffeln statt. Die Universität plant darüber hinaus Freisetzungen mit transgenem Tabak. Momentan stammen sieben der zehn im Standortregister gemeldeten Versuchsflächen mit gentechnisch veränderten Pflanzen von der Universität Rostock.

Autoren
Annemarie Volling
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)

Heike Moldenhauer
BUND, Leiterin Gentechnikpolitik

Martha Mertens
BUND-AK Gentechnik

Siegrid Herbst
IG Saatgut
Katrin Brockmann, Rechtsanwältin

Andreas Bauer-Panskus
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Für nähere Informationen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Mängeln des Freisetzungsantrags stellen wir gerne Einwendung und andere Dokumente zum Genehmigungsverfahren zur Verfügung.

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Europa/gc Deutschland/gc Mecklenburg-Vorpommern/gc

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