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Russland Leben Reportage
Russische Gastfreundschaft kennt keine Grenzen
Moskau: Wohnen oder leben
Nachts, wenn der Handwerker werkelt und die Heizung gegen offene Fenster kämpft
Redaktion: Constanze Jantsch
Eingestellt am  17.05.2009 Aktualitätsende 25.05.2009
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Moskau/gc. Die Verbesserung der eigenen Wohnsituation ist ein triftiger Grund, umzuziehen. Innerhalb von 6 Monaten habe ich es geschafft, das Sagenhafte dreimal zu glauben oder mir einzureden. Beim vierten Mal hat es endlich geklappt, ohne Selbstbetrug.

Im Oktober 2008 hatte ich mich auf Moskau eingelassen. Freiwillig. Das ist wichtig, denn wer Moskau hört, der kann sich diese Antwort eher selten vorstellen. Zunächst sollte ich bei russischen Bekannten von russischen Bekannten wohnen. Aber bei diesen Bekannten war Remont, was soviel heißt wie Renovierung. In Russland ist oft Remont. Dieses Wort führte sogleich meine Hitliste der neuen Wörter an, nicht nur, weil es mir wirklich gefiel, sondern weil es auch in Zukunft noch eine weitere Rolle spielen sollte.  Also kam ich zu Bekannten der Bekannten der Bekannten, die um viele Ecken sogar miteinander verwandt sind.

Die Verwandten der Bekannten waren sehr sympathisch. Es handelte sich dabei um Mutter und Tochter. Die ersten Wochen hatte mich Moskau mit seinem Tempo so im Griff, dass es mich kaum störte mir das Zimmer teilen zu müssen, auch wenn ich es anders gewohnt war. Eines Abends hieß es, die Remont sei soweit abgeschlossen, dass ich jetzt in mein neues Heim verfrachtet werden könnte.

Ich hatte mir vorher zwar selbst etwas organisiert, aber zwei Tage vor meiner Abreise stellte sich heraus, dass ich eine unverschämt hohe Kaution zahlen sollte und noch dazu keine Gäste empfangen durfte. Leben oder Wohnen? Also, auf nach nach Chimki!

Chimki liegt im Norden Moskaus. Moskau Oblast heißt übersetzt Moskau Randgebiet. Was mir blühen sollte, konnte ich nur erahnen. In Chimki wurde ich also von den Bekannten der Verwandten begrüßt, eine junge russische Familie mit einem achtjährigen Sohn, einem Hamster und diversen Aquariumsfischen. Die russische Gastfreundschaft kennt keine Grenzen, jedenfalls bin ich bis heute noch nicht zu ihnen vorgestoßen.

Ich verabschiedete mich also höflich von meiner ersten Gastfamilie, ahnte jedoch bereits in den ersten Minuten im neuen Heim, dass dies keine große Liebe würde, denn gästefertig renoviert sind im Deutschen und im Russischen zwei völlig verschiedene Zustände.  Im  neuen Heim kam ich zunächst der Bitte nach, zu duschen, damit der Handwerker weiter arbeiten könne. Da war es 22 Uhr. Die Badewanne war gerade frisch verputzt worden und noch nicht einmal richtig trocken. Die Küche sollte in den nächsten Tagen geliefert werden. Im gedachten Wohnzimmer standen die Habseligkeiten der Familie nebst Haustieren, das Kinderzimmer konnte noch nicht bewohnt werden, da die Tapeten gerade frisch angebracht waren und im Flur fanden sich die Utensilien für die Remont.

Mir war alles egal. Es war mitten in der Arbeitswoche, ich musste früh am Morgen raus,  früher als üblich: Moskauer Randlage eben.  Doch wohin mit mir? Tatsächlich habe ich die erste Nacht in dieser Wohnung mit einer dreiköpfigen Familie in einem Zimmer verbracht - nebst laufendem Kühlschrank, voll aufgedrehter Heizung (die ist fast nirgendwo zu regulieren), aufgeklapptem Fenster und mit allen Geräuschen, die der Handwerker nächtens erzeugte. Das Kinderbett des Jungen war zu klein und meine Füße lugten am anderen Ende schon wieder hervor. Diese Nacht bot mir also viel Zeit zum Nachdenken. Warum ich? Und ich beschloss, dort nicht länger wohnen bleiben zu wollen.

Von dieser Nacht unerholt  machte ich mich am nächsten Morgen mit dem weiblichen Familienoberhaupt auf den Weg zum Bus. Es war  7 Uhr und ich erinnere mich noch, dass der Bus voll war. Proppenvoll. Noch interessanter jedoch war die Fahrt zur Metrostation. Man muss sich die Straße wie eine große auf beiden Seiten dreispurige Fahrbahn vorstellen (manchmal auch vier, das nimmt hier niemand so genau). Das Ganze hat also den Charme einer Autobahn, an der beiderseits Menschen wohnen. Entsprechend fährt, hält und fährt wieder der Bus. Mal dauert die Fahrt 30, mal 45 Minuten. Irgendwann steigen alle aus und eilen zum Metroeingang. Warum sich Menschen das jeden Tag antun und wie sie das aushalten, ist aus deutscher Sicht nicht nachvollziehbar. Man bekommt den Eindruck, dass ein Teil der Menschen hier in Moskau lediglich funktioniert. Von dem, was man in Deutschland Leben nennt, bleibt hier Moskauern kaum etwas. Durch einen glücklichen Umstand konnte ich diesen grausigen Ort  nach etwas mehr als zwei Wochen verlassen. Nicht meiner Mitbewohner, der Gastfamilie, wegen, sondern, weil ich grundsätzlich andere Vorstellungen vom Wohnen habe.

Nachdem Chimki-Alptraum  konnte ich vorübergehend bis Anfang Januar 2009 in einer wunderbar gelegenen Altbauwohnung in der Nähe der von mir bevorzugen Metrolinie wohnen. Leider war dies zeitlich begrenzt. Also musste was Neues her. Die Suche gestaltete sich als äußerst schwierig und auf diversen WG-Plattformen im Internet war nichts Annehmbares finden, wenn man nicht für 500 US-Dollar sein Zimmer mit einer fremden Person teilen will. Die Rettung kam durch den Freund eines Freundes, der mir anbot, in seiner frisch renovierten Wohnung zu wohnen. Vorübergehend, denn man wollte verkaufen. Ich wurde dezent darauf hingewiesen, dass die Remont noch nicht abgeschlossen sei.

Seine Wohnung bot viel Staub, aber auch ein frisch renoviertes Bad, das mit der schön geschnittenen Küche zu meinen favorisierten Orten wurde. Ich hätte länger als einen Monat dort wohnen können, doch der morgendliche Weg zur Metro mit der Tram kam einem Viehtransport gleich. Es galt auch dies schnellsten zu beenden. Und ich sollte Glück haben.

Seit März 2009 wohne ich im Moskauer Zentrum, schaue abseits der Hauptstraße  aus dem Fenster und sehe Bäume statt Autos. Es gibt Cafés, Restaurants und Metrolinien.

Das hat seinen Preis. 22.000 Rubel (zirka 500 Euro oder rund 600 US-Dollar) beträgt die Miete im Monat. Wir teilen uns eine grosse gemütliche Küche, und ein Bad. WC und Bad sind hier immer zwei Räume. Die Wohnung hat insgesamt drei Zimmer, ich habe das mittlere bekommen. Mitbewohner gibt es aktuell ein Paar, Mitte 30. Er spielt Cello, sie fertigt Kinderbücher. Dieser Tage kommt noch eine schweizer Freundin der Beiden. Eine Journalistin, Mitte 20. Das Paar hat das größte Zimmer, die Journalistin bekommt einen kleinen Raum, der aber an den schönen Balkon angrenzt.

Das Bett in meinem Zimmer ist jetzt lang genug, die Füße ragen nicht mehr heraus und es ist jetzt sogar Platz für 2 ... Meine Mitbewohner, die die Wohnung angemietet haben, haben den Sowjet-Stil eleminiert. IKEA hat Einzug gehalten. Ein Glück!  Eine Katze wohnt auch noch hier, unser Straßentiger. Manchmal ein Biest, ansonsten ganz sauber. Die Heizung lässt sich wie üblich nicht regulieren, aber die wird ja jetzt hoffentlich auch bald abgestellt von »den Oberen«. Dafür gibt es schöne neue Fenster.

Auf jeden Fall erwähnenswert ist auch der Hausflur mit altbekannter Müllrutsche. Man schüttet den Müll durch eine Luke in den Keller. Der Hausflur hat eine krassen Pink-Anstrich und schachbrettgemusterte Fliesen. Den alten Lift benutze ich nicht, wir wohnen nicht so weit oben.. Dazu flackert in einer Etage die kaputte Neonröhre in milchigem Licht. Ist wie im Kino. Das Haus selbst ist übrigens ein 30/40-er-Jahre-Bau, also kein Betonklotz, sondern es hat ein hübsches kleines Format. Könnte ewig halten, diese Wohnbeziehung.

Constanze Jantsch
Constanze_Jantsch(at)web.de

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