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Kasachstan Leben Bericht
Ein Nichts aus grenzenloser Weite
Von Frankfurt/Main über Astana nach Kostanay
Redaktion: Constanze Jantsch
Eingestellt am  05.11.2011 Aktualitätsende 14.11.2011
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Kostanay/gc. Kasachstan ist flächenmäßig das neuntgrößte Land der Erde, hat aber  nur 15 Millionen Einwohner (so viele wie Moskau). Es ist das Land, das am weitesten von allen Weltmeeren entfernt liegt. Die Währung ist die Tenge (1 Euro = 200 Tenge). Seit Anfang Oktober 2011 wohne ich in der nordkasachischen Stadt Kostanay. Ein grünes Nest mit zirka 300.000 Einwohnern. Eine Gründung aus dem Jahr 1879.

Am Flughafen Frankfurt habe ich Glück, die Waage hat am 6. Oktober 2011 so ihre Macken … Beim Einchecken rechnet mir der charmante Mitarbeiter meiner Airline auf wundersame Weise das Gewicht meines Übergepäcks runter. Für jedes Kilo soll ich immerhin 15 Euro zahlen. Wer nicht nur für neun Wochen, sondern für neun Monate wegfährt, hat in der Regel eine Menge Zeug dabei.

Im Flieger, der mich in die kasachische Hauptstadt Astana bringt, fühle ich mich wie das Fleisch im Burger. Ich scheine die Einzige zu sein, die in der Mitte einer vollbesetzten Dreierreihe  sitzen soll, obwohl der Flieger nur halb gefüllt ist. Also mogle ich mich in eine freie Reihe und habe dabei noch angenehme Unterhaltung. Ein anderer Deutscher hatte die gleiche Idee.

Nach sechsstündigem Flug und vier Stunden Zeitverschiebung erreichen wir am frühen Freitagmorgen, 7. Oktober 2011, die Hauptstadt. Beim Anflug auf Astana leuchtet um die Stadt herum ein Meer aus Lichtern. Mein Auftrag ist, in Kostanay eine Sprachassistenz für das Goethe-Institut zu leisten, das bedeutet, ich gebe Sprachunterricht und vermittle deutsche Kultur..

Wirklich ausgeschlafen bin ich nicht, als ich dem Grenzbeamten meinen Pass nebst ausgefüllter Migrationskarte entgegenstrecke. Es ist immer schön, wenn dieses Vorhaben schnell und reibungslos funktioniert. Der junge Grenzbeamte mustert meinen Pass und fragt seinem hinter mir stehenden Kollegen, „du sprichst doch Deutsch, oder?“ Er antwortet mit einem kräftigen „Ja, ja“ und kommt mit ausgestrecktem rechtem Arm und strammem Schritt freundlich lächelnd auf mich zu. Einen Hitlergruß hatte ich morgens um 8 Uhr nicht in Astana erwartet. Wahrscheinlich hat der noch sehr junge Mann einfach zu viele von den ständig laufenden Kriegsfilmen geguckt. Zu müde um mich aufzuregen, lasse ich den „Spaß“ über mich ergehen und freue mich, dass ich ohne Probleme einreisen darf.

Als mein Anschlussflug aufgerufen wird, begebe ich mich erneut zur Sicherheitskontrolle. Die kasachische Beamtin etwas zu meckern. Ihr sind die Haare auf meinem Passfoto zu kurz. Das kenne ich schon aus Russland …

Ich fliege knapp 90 Minuten so zusagen wieder zurück. Bereits auf dem Hinflug sind wir schon über Kostanay geflogen. Früher flog man direkt dorthin. Auf dem Rollfeld ist es so windig, dass ich meinen Hut festhalten muss. Mit meinem Handgepäck komme ich mühsam in die Fokker 50. Die von den Stewardessen ausgeteilten und in Fett ausgebackenen Piroggen sowie der Schokoriegel trösten mich nur wenig über meine plötzlich aufkommende Angst, dass diese Propellermaschine mich nicht heil an mein Ziel bringen wird. Wir fliegen los, über ein Nichts aus grenzenloser Weite. Ich bete, dass mein Gepäck dabei ist und ich in Kostanay schon erwartet werde.

Am nächsten Tag zeigt mir eine Kollegin die Stadt. Wir spazieren die ehemalige Leninstraße entlang, die jetzt Al Farabi heißt. Der war ein muslimischer Philosoph und Gelehrter und mir bis dato völlig unbekannt. Die Orientierung fällt mir schwer. Alles sieht gleich und grau aus. Als sie mich darauf hinweist, dass wir uns auf der Hauptstraße befinden, zucke ich innerlich zusammen. Ich muss mich in Gedanken von den deutschen Innenstädten verabschieden. Das braucht eine Weile. Durch die Stadt fließt der Fluss Tobol, ein nicht gerade sauberes Gewässer. Trotzdem hocken die Angler auf der Brücke und ertragen den Baggerlärm hinter sich. Der Fluss wird seit geraumer Zeit gereinigt.

Es scheint, als stünde die Stadt halb unter Wasser. Meine feinen Schnürschuhe kann ich einmotten. Frühestens Ende April sind sie wieder straßentauglich. Das Wasser steht überall, und immer wieder denke ich, dass das Pfützenspringen auch olympisch werden könnte …

Auf den ersten Blick habe ich es mit meiner Wohnung ganz gut erwischt. Vor meinem Hausaufgang stehen ein paar Bäume, Kinder spielen auf Klettergerüsten, dazwischen baumelt Wäsche, die durch die letzten Strahlen der Herbstsonne getrocknet wird.  Im Hausflur selbst ist es erstaunlich sauber und auch die Nachbarn, mit denen ich mir die 4. Etage teile, geben selten einen Mucks von sich. Ab und an höre ich meine Nachbarn oberhalb, besonders abends. Wenn sie sich in ihren Betten drehen, kann ich das Quietschen ihrer Bettfedern vernehmen.  Zu Fuß sind es  5 Minuten bis zur Bushaltestelle, ein paar kleine Geschäfte lassen mich das Nötigste vor der Haustür besorgen. Nur ein wenig dunkel ist es, wenn ich spät abends nach der Arbeit heimgehe. Eine Freundin riet mir, statt einer Taschenlampe lieber das Pfefferspray einzustecken.

Den Wohnungsschlüssel für meine neue Bleibe bekomme direkt von meinen Vormietern in die Hand gedrückt. Die Wohnung liegt im vierten russischen Stock eines fünfstöckigen „Sowjetbunkers“. Meine Laune sinkt, als ich feststelle, dass es zurzeit kein Wasser in meiner Wohnung gibt. Eine Havarie in der Stadt ... Das kenne ich schon von meinem Sibirien-Aufenthalt. Es bedeutet, ich kann noch nicht einmal die Schränke auswischen oder auf dem stillen Örtchen große Geschäfte verrichten. Nicht einmal Hände waschen ist drin. Da ich in den Abendstunden umgezogen bin, nutze ich die letzte halbwegs helle Stunde, um kurz um die Blocks zu gehen. Supermärkte nach deutschem Verständnis gibt es in meiner Gegend anscheinend nicht. Alles muss ich der Verkäuferin sagen oder zeigen. Auf die Schnelle weiß ich auch nicht, wie der Badreiniger auf Russisch genannt wird. Neben Haushaltswaren besorge ich noch ein Flasche Wasser, Birkensaft und drei kasachische Biere. Wer schon kein Wasser hat, sollte wenigstens Wasser lassen ...

Die nächsten Tage verbringe ich in der Hauptstadt Astana. Im neu erbauten Stadtteil mutet sie an wie ein Traum aus 1001 Nacht. Das absolute Kontrastprogramm zu Kostanay.

Wieder zurück in der Realität Kostanays bekomme ich es gleich mit Handwerkern zu tun, die meine Toilette abmontieren und in die Küche verfrachten. Da ich nicht den ganzen Tag in meiner Wohnung auf nichts warten kann, kommt der Opa meiner Vermieterin zur Hilfe. Er wird in meiner Wohnung aufpassen und ich entfliehe dem Chaos. „Dedushka“ ist schon 80 Jahre alt, sieht aber erstaunlich fit aus. Sein Sohn weist mich darauf hin, dass Großvater nicht mehr so gut hört. Opa setzt sich auf meinen abgenutzten Wohnzimmersessel und beginnt, von einer Schlacht des Jahres 1942 zu erzählen. Während seine Worte vorüber rauschen analysiere ich die unterschiedlichen Farben seines karierten Hemdes, nicke ab und zu und bemerke, wie sich meine Körperhaltung verkrampft. Mein Russisch reicht noch nicht für Kriegsgeschichten. Ich fühle mich hilflos, lasse ihn einfach ausreden. Nach einer Ewigkeit suche ich ein paar Sachen für das Büro zusammen. Er erkennt, dass ich los will und geht zu den Handwerkern ins Bad.

Wenn ich heute nach Hause komme, weiß ich nicht, welche Überraschungen auf mich warten. Ich weiß nur, alles wird gut.

Bildunterschrift 1:
Briefkästen mit Werbeblättern im Hausflur: Die Kabel sind Wildwuchs und „Standard“ zugleich. Sie ziehen sich durch jede sowjetische Bude. Foto: Constanze Jantsch

Bildunterschrift 2:
Herbstliches Grau vor meiner Haustür.  Foto: Constanze Jantsch

Bildunterschrift 3:
Eine Hausansicht, wie sie für Kostanay typisch ist. Foto: Constanze Jantsch

Bildunterschrift 4:
Alltag auf der Hauptstraße Al-Farabi in Kostanay. Foto: Constanze Jantsch

Aussender:
Constanze Jantsch
Constanze_Jantsch(at)web.de

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Asien/gc Kasachstan/gc

 

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