Wiesloch/gc. Nicht nur die derzeitige Krisenstimmung, sondern der ganz normale tägliche Wahnsinn in der Firma, die Angst zu versagen, den Ansprüchen von Chefs nicht gerecht zu werden, lässt die Bundesbürger zunehmend zu Aufputschmitteln oder Beruhigungstabletten greifen. Bereits in der Schule gibt es zu viele Kinder, die eine Leistungskontrolle oder gar den ganzen Schultag nur mit Hilfe von Psychopharmaka überstehen. Bewusster Medikamentenmissbrauch um die Leistung zu steigern oder besser drauf zu sein ist auch im „normalen“ Leben vieler Bundesbürger tägliche Praxis und nicht nur im Sport. So reibt sich mancher verwundert die Augen, wenn er liest, mit welchem Übereifer auch von politischer Seite ausschließlich gedopten Sportlern nachgestellt wird. Denn wie will man angesichts der genannten Tatsachen ernsthaft die Dopingpraxis im Leistungssport verurteilen? Der Vorwurf des Betruges gegenüber den Sportlern ist gerechtfertigt, doch wie passt er in unsere Gesellschaft? Weder hat man von Managern gehört, deren Vertragsabschlüsse storniert wurden, da sie sich für die entscheidenden Vertragsverhandlungen „gepusht“ hatten, noch hinterfragte man die Fähigkeiten von Krankenhausärzten, „normale“ 60- bis 80-Stunden-Arbeitswochen jahrelang durchzuhalten. Nie wurden Werke von Künstlern konfisziert oder gar zerstört, die diese auch unter dem Einfluss von „bewusstseinserweiternden“ Drogen schufen, Mittel, die man auf der Dopingliste findet oder deren Besitz sogar strafrechtlich verfolgt wird. Eher wurden diese „Betrüger“ ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, als geächtet oder gar mit Beruf sverbot belegt. Mit welcher Begründung also sollen Berufssportler höheren moralischen Ansprüchen unterliegen als diese Mitglieder der Gesellschaft? Der oft verwandte Hinweis auf die sportliche Fairness negiert die tatsächliche Entwicklung im Leistungssport. Weder Sponsoren, noch Medien oder Zuschauer interessieren Sportler, die ständig auf „hervorragenden“ 17. oder 21. Plätzen“ einlaufen, selbst wenn sie vorgeben, „sauber“ zu sein oder sogar sind. Während Siegerporträts Titelseiten und Werbeposter schmücken, finden Verlierer nicht statt. Dabei geht’s es vielen der Sportler oft auch nur darum, ein geregeltes Einkommen zu sichern. Das strapazierte Argument von der schädigenden Wirkung des Dopings (sicher ein Fakt), verkommt zur Posse. Obwohl das Wissen um Gesundheitsschädigungen durch Tabakkonsum oder Alkoholmissbrauch auf gesicherten Erkenntnissen basiert, sind wir von Verboten weit entfernt. Dass die sinnfreie Raserei in der Formel 1 auch mit dem Tod eines oder mehrerer Teilnehmers enden kann, scheint keinen zu stören, es droht nicht einmal der Entzug des Führerscheins. Mit welchen Argumenten will man also Sportlern vorschreiben, was diese in freier Selbstbestimmung ihren Körpern zumuten können? Wenn sich nun Politiker und selbsternannte Fachmänner zunehmend in polemischen Argumentationen versteifen, geschieht dies offensichtlich eher aus Gründen der Profilierung, als der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn solange Alkohol- und Nikotinmissbrauch straffrei und deren Folgen der Gemeinschaft zugemutet werden, sich Bundesbürger illegal für den Bürojob „fit-spritzen“, erscheinen viele dieser Begründungen nicht plausibel genug, um Sportlern Doping zu verbieten. Aber vielleicht ist dies alles einfach nur Ausdruck dieser Gesellschaft: sie ist so krank, dass immer mehr sie nur „high“ - unter Drogen oder im Rausch - ertragen und ihn ihr bestehen können.
Mirko Laumann mirkolaumann@aol.com |