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Deutschland Medien Pressemitteilung
Top 10-Liste im Internet veröffentlicht
Das Schweigen der Medien
Initiative Nachrichtenaufklärung stellt vernachlässigte Themen vor
Redaktion: Miriam Bunjes
Eingestellt am  13.04.2009 Aktualitätsende 22.04.2009
Dieser Beitrag kann im vollem Umfang kostenlos und frei genutzt werden, wenn www.german-circle.de als Quelle genannt wird.
Darmstadt/gc. Nach Ansicht der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) wurden auch im Jahr 2008 wieder wichtige Themen von den deutschen Medien nicht aufgegriffen. Am Dienstag, 17. Februar, wählte die Jury der INA in Darmstadt die Rangliste der
wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten des vergangenen Jahres. Die zehn Top-Themen im Einzelnen:

1.
»Zu viele Straftäter in der Psychiatrie«
Immer mehr Straftäter müssen ihre Strafe in der Psychiatrie verbüßen. Das liegt nicht an einem Anstieg psychisch kranker Angeklagter, sondern an einer veränderten Spruchpraxis der Richter. Entsprechend steigt die Zahl zweifelhafter Einweisungen. Gleichzeitig sind die Hürden für die Entlassung aus dem so genannten Maßregelvollzug gesetzlich erhöht worden – was nach spektakulären Einzelfällen auch medial eingefordert wurde. Die Verurteilten kommen somit schnell in die Forensik hinein und schwer wieder heraus. Für diese veränderte Gefangenenunterbringung zahlt der Staat rund 700 Millionen Euro zusätzlich. Über diese Entwicklung zu berichten bedeutet, Täter auch als Opfer darzustellen. Davor scheuen sich deutsche Medien offenbar.

2.
»Pharmaindustrie unterwandert Patienten-Blogs«
In Blogs und Foren von Patientenorganisationen wirbt die Pharmaindustrie verdeckt für ihre Produkte. PR-Mitarbeiter melden sich dort als Betroffene an und berichten von ihren guten Erfahrungen mit den Medikamenten ihrer Auftraggeber. Für echte Patienten ist dies nicht transparent. Obwohl das Sponsoring von Selbsthilfegruppen vor einigen Jahren Medienthema war, wird diese neue Dimension von schmutzigem Marketing nicht thematisiert.

3.
»Kupferbelastung der Umwelt durch ersetzbare Bremsbeläge«
Bremsbeläge von Kraftfahrzeugen verursachen laut einer Studie des Frauenhofer-Instituts zu hohe Kupferkonzentrationen in deutschen Gewässern und Böden. Von dem Schwermetall gelangt mehr in Gewässer, als die Zielvorgaben der Bund-/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) erlauben. Auch Böden sind betroffen. Die Werte für Kupfer wurden 2005 an 60 Prozent der Messstellen überschritten. Den größten Teil der Einträge macht der Abrieb von Bremsbelägen aus. Das ist vermeidbar: Längst sind kupferfreie Bremsbeläge auf dem Markt, die wegen eines etwas höheren Preises nicht verwendet werden. Da das Thema überhaupt nicht medial präsent ist, kann von keiner gesellschaftlichen Gruppe auf die Gefahr hingewiesen werden. Auch die Alternativen sind der Öffentlichkeit nicht bekannt.

4.
»Gefährlichkeit starker Psychopharmaka«
Neuroleptika, die zur Behandlung von Psychosen eingesetzt werden, haben starke Nebenwirkungen. Einige Forscher gehen davon aus, dass sie das Leben um mehrere Jahre verkürzen können. Trotzdem verordnen Ärzte diese Medikamente standardmäßig, um schwere Störungen zu behandeln, wenn diese etwa mit einer Selbstmordgefahr verbunden sind. In Deutschland nehmen schätzungsweise mehr als eine halbe Million Menschen Neuroleptika ein. Dennoch ist in der Öffentlichkeit wenig über die möglichen Folgen bekannt.

5.
»SED-Vermögen: Immer noch in Liechtenstein und anderswo versteckt?«
Umgerechnet 255 Millionen Euro aus dem Vermögen der früheren DDR-Außenhandelsfirma „Novum“ wurden im Jahr 2003 der BRD zugesprochen. Sechs Jahre später ist der Öffentlichkeit immer noch nicht bekannt, wie viel von diesem Geld die Bundesrepublik erhalten hat und wofür es gegebenenfalls verwendet wurde. Teilsummen werden weiter auf ausländischen Konten, etwa in Liechtenstein und der Schweiz vermutet. Es fehlen journalistische Berichte, die sich mit der Umsetzung des Gerichtsurteils befassen. Verschleierungsbemühungen aus der Wendezeit bleiben so bis heute erfolgreich.

6.
»Gefahren durch Uran-Munition in Kriegsgebieten«:
n den Kriegen im Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan wurden mehrere tausend Tonnen Uran-Munition eingesetzt. Missbildungen bei Kindern, Leukämie und andere schwere Krankheiten gelten als mögliche Langzeitfolgen. Eine Veröffentlichung der deutschen Bundesregierung, an der auch renommierte Journalisten mitwirkten, erklärte die Munition jedoch für ungefährlich und bremste damit die Debatte weitgehend aus. Obwohl die Diskussion etwa auf Ebene der UNO unvermindert weitergeht, ist sie in den deutschen Medien kein Thema mehr.

7.
»Pauschale Berichterstattung über Entwicklungsländer«
Deutsche Medien berichten undifferenziert über Entwicklungsländer, wodurch häufig ein falsches Bild entsteht. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung über HIV-Infektionen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in denen die Krankheitsraten sehr unterschiedlich sind. Selten wird jedoch so differenziert berichtet. Stattdessen werden allgemeine Aussagen über Aids in „Schwarzafrika“ gemacht. Dabei könnte eine hintergründige Berichterstattung Lösungsstrategien für Länder mit tatsächlich hohen Infektionsraten aufzeigen.

8.
»Idealisiertes Mutterbild statt Berichterstattung über postnatale Depression«
Mutterliebe kommt in den Medien idealisierend zum Muttertag vor. Dass aber 15 Prozent aller Mütter an sogenannten postnatalen Depressionen leiden, bleibt weithin unbekannt. Trotz der Häufigkeit der Erkrankung gibt es in der Öffentlichkeit wenig Verständnis für Frauen, die nicht dem medial vermittelten Ideal der bedingungslosen Mutterliebe entsprechen. Diese schämen sich daher, sich und anderen ihre psychische Verfassung einzugestehen. Deswegen und auch weil die weite Verbreitung der postnatalen Depression in der Öffentlichkeit wenig diskutiert wird, bleiben zwei Drittel aller Fälle unerkannt und ohne Therapie.

9.
»Undifferenzierte Berichterstattung über Migranten«
Migranten sind in der deutschen Berichterstattung nicht mehr generell unterrepräsentiert, aber sie werden immer noch häufig in stereotyper Weise dargestellt. Auf diese Weise verfestigen sich rassistische Vorurteile. Differenziertere Beiträge über die vielfältigen Rollen, die Migranten in der deutschen Gesellschaft einnehmen, sind Mangelware. Immerhin jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik hat einen Migrationshintergrund.

10.
»Menschenunwürdiger Umgang mit Totalverweigerern in der Bundeswehr«
Wer den Kriegsdienst in der Bundeswehr total verweigert, muss mit drakonischen Disziplinar- und Freiheitsstrafen rechnen. Der Wehrpflichtige Matthias Schirmer aus Mecklenburg-Vorpommern wurde für seine Totalverweigerung 2008 mit 33 Tagen Einzelhaft bestraft und weiteren Schikanen ausgesetzt. Laut Bundeswehrgesetz können solche Vorgänge rechtmäßig sein. Über den Fall wurde nur vereinzelt in Lokalmedien berichtet. Was sich in den Kasernen abspielt und was überhaupt Bundeswehrrecht ist, wird kaum öffentlich thematisiert.

Über die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA)
Die INA wurde im Mai 1997 gegründet und ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Dortmund und Bonn. Vorbild der Initiative ist das US-amerikanische Project Censored. Ziel der INA ist es, wichtige Nachrichten und Themen, die in den Medien nicht genügend berücksichtigt wurden, stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Medienschaffende, gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Institutionen, aber auch alle Bürger können bei der INA ihrer Meinung nach vernachlässigte Themen einreichen. Die Themenvorschläge werden von Studierenden in Recherche-Seminaren in Dortmund, Bonn und Darmstadt auf Richtigkeit und Vernachlässigung geprüft. Alle Themen, die dieser Prüfung standgehalten haben (meist rund 20), werden der Jury der INA vorgelegt. Diese entscheidet dann über die gesellschaftliche Bedeutung der Themen, indem sie jeweils im Februar die Rangliste der vernachlässigten Top-Themen des vergangenen Jahres kürt - im Februar 2009 bereits zum zwölften Mal.

Die Jury der INA setzt sich aus Journalisten und Wissenschaftlern zusammen, u.a. Prof. Dr. Christian Schicha, Günter Wallraff, Prof. Dr. Dr. Peter Ludes, Hersch Fischler, Prof. Dr. Horst Pöttker, Dr. Jörg-Uwe Nieland, Rita Vock und Prof. Geribert Jakob.

Die ausführliche Top-10 aus 2008 sowie die Top-Themen der vergangenen Jahre sind online unter www.nachrichtenaufklaerung.de einzusehen.
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