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Deutschland Internet Bericht
Internetskeptiker will Google bändigen
Die Gedankenwolken des Nicholas Carr
Warnung vor Zentralisierung des Datennetzes
Redaktion: Gunnar Sohn
Eingestellt am  06.11.2009 Aktualitätsende 15.11.2009
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Hamburg/gc/www.ne-na.de. Nicholas Carr, ehemaliger Chefredakteur der Harvard Business Review  und Internetskeptiker vom Dienst, hat in einem Namensbeitrag für die Wochenzeitungen „Die Zeit“ http://www.zeit.de wieder einmal seine Gedankenwolken zu den Nebenwirkungen der Web-Ökonomie losgelassen. Das Argumentationsmuster ist immer gleich.

Carr vergleicht die Informationstechnologie mit der Elektrizität. Beide sind Allzwecktechnologien, die unzählige praktische Anwendungen erlauben. Die Verfügbarkeit von elektrischem Strom beschleunigte die Industrialisierung; Fabriken, die am Markt mithalten wollten, mussten ihre eigene Stromerzeugung haben. Das wurde bald unwirtschaftlich: Große zentrale Kraftwerke traten an die Stelle der kleinen privaten Generatoren.

Eine parallele Entwicklung beschreibt Carr für die Informationstechnologie: Die milliardenteuren IT-Abteilungen der Konzerne und Unternehmen hören in dem Tempo auf, sich zu rechnen, in dem man Dienstleistungen und Speicherkapazität aus dem Internet beziehen kann. Das World Wide Web hat sich in eine weltweit wirksame Computerwolke verwandelt: Unsere PCs werden immer mehr zu bloßen Terminals, deren Nutzen nicht länger davon abhängig ist, was auf der Festplatte gespeichert wurde, sondern von den Möglichkeiten des Netzes.

Damit werden Informationsgiganten wie Google oder Amazon zu Versorgungsdienstleistern, ähnlich wie Stadtwerke, Wasserwerke, Telefongesellschaften. „Weil immer mehr Wirtschaftssektoren dazu übergehen, diese einzigartigen Computernetzwerke zu nutzen, werden wir voraussichtlich weitere Arbeitsplatzverluste erleben. Das Elektrizitätsnetz trug einst dazu bei, breite Mittelschichten zu erschaffen; es könnte sein, dass das Computernetz dazu beiträgt, diese Mittelschichten wieder zu zerstören“, schreibt Carr in seiner Abhandlung „Zukunft in der Matrix“.

Er macht sich sorgen über die Zentralisierung des Datennetzes. „Wem sollte diese elementar wichtige neue Infrastruktur gehören? Brauchen wir neue Regelwerke, um sicherzustellen, dass ein Unternehmen wie Google kein globales Informationsmonopol erlangt? Wie schützen wir lokales Wirtschaften und örtliche Kulturen vor den uniformierenden Wirkungen des weltweiten Informationssystems? Alles diese Fragen erfordern die Aufmerksamkeit von Politikern und Öffentlichkeit. Welche Form die ‚Wolke’ annimmt und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirken wird, das hängt wahrscheinlich von Entscheidungen ab, die in den nächsten paar Jahren getroffen werden“, so Carr.

Bei Internetexperten stoßen diese Szenarien auf Widerspruch: „Die Ausführungen von Carr sind voller Widersprüche. Die Elektrifizierung war nach der Erfindung der Dampfmaschine der entscheidende Mosaikstein für die Ausbreitung der Massenproduktion, des Massenkonsums, der Massenkultur und des Massenwohlstandes. Natürlich profitierte davon die Mittelschicht. Allerdings war es auch eine Epoche der Großkonzerne, die Gewinne nur erwirtschaften konnte über die so genannte Economy of Scale. Dieses Prinzip ist allerdings schon lange vor dem Siegeszug des Computers und Internets an Grenzen gestoßen.

Die meisten Arbeitsplatzverluste in den vergangenen Jahrzehnten erlebten wir in den klassischen Industriebranchen, die der Logik des Fordismus folgten. Durch die Finanzkrise wird der Niedergang der traditionellen Massenproduktion noch beschleunigt“, erwidert Bernhard Steimel, Sprecher der Voice Days plus http://www.voicedays.com und Geschäftsführer der Beratungsfirma Mind Business http://www.mind-consult.eu in Düsseldorf.

Carr selbst beschreibe die positiven Effekte des Internets, komme aber zu einem merkwürdigen Szenario für die Zukunft. Die Herrschaft der Medien verschiebe sich von Institutionen zu Individuen. Carr zitiert aus dem Buch „The Long Tail“ von Chris Anderson: „Früher wurde unsere Kultur durch ihre jeweils populärsten Ausprägungen definiert. Jetzt definieren eine Million Mischen unsere Kultur“. Die riesige Zahl der Wahlmöglichkeiten sei aufregend. Aber mehr Wahlmöglichkeiten bedeuten nicht notwendig auch bessere Wahlmöglichkeiten. Viele kulturelle Güter wie beispielsweise erstklassiger Journalismus bleiben in ihrer Herstellung teuer oder erfordern die sorgfältige Arbeit begabter Fachleute“, führt Carr aus. Die Kostenlosmentalität des Internets könnte dazu führen, dass manche der wertvollsten kreativen Arbeiten niemals ihren Platz auf dem Basar der Youtube-Wirtschaft finden werden.

Als Beleg für seine These erwähnt Carr den Zusammenbruch der Zeitungswirtschaft in den USA. „Man kann schwerlich die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin dafür verantwortlich machen, dass die Zeitungsverleger die Logik des Netzes einfach verpennt haben und den Zeiten des Informationsvermittlungsmonopols verbunden mit satten Gewinnen aus dem Werbegeschäft nachtrauern. Im Netz läuft alles personalisiert ab. Da helfen die immergleichen Agenturmeldungen mit den immergleichen Politikerstatements und auswechselbare Newsrooms nicht weiter“, kritisiert Steimel.

Zu einem ähnlichen Urteil gelangte der Journalismus-Professor Stephan Ruß-Mohl in einem Beitrag für „Druckreif“ http://www.uvk.de/presseInfos/UVK-DRUCKreif_2009_02.pdf: „Die Verlagsmanager haben sich an entscheidenden Stellen verkalkuliert. In der ‚guten, alten’ Zeit hatten die meisten Blätter regionale oder lokale Oligopole oder Monopole, also eine marktbeherrschende Stellung. Damit konnten sie bei den Anzeigenpreisen kräftig zulangen. Über Jahrzehnte hinweg erzielten sie Traumrenditen, von denen nicht nur viele Verleger, sondern auch so manche Redakteure in ihren Nischen wie die Maden im Speck lebten. Im Internet herrscht dagegen Wettbewerb. Der Konkurrent, der auf dieselben Anzeigenkunden hofft, ist nur einen Mausklick entfernt. Deshalb schrumpfen bei den Werbeumsätzen die Margen, aus denen sich früher Redaktionen großzügig finanzieren ließen“, so Ruß-Mohl.

Die Vergleiche von Carr mit der zentralisierten Stromversorgung sind nach Auffassung von Andreas Latzel, Geschäftsführer von Aastra-DeTeWe http://www.aastra-detewe.de, nicht auf der Höhe der Zeit. „Wegen der Abhängigkeit von den zentralisierten Infrastrukturen und dem Quasi-Monopol gibt es eine Tendenz zur Dezentralisierung. Ähnliches gilt für die Gasversorgung. Zudem unterscheidet sich das gelieferte Produkt, nämlich Computing aus dem Netz, massiv von dem absolut standardisierten Produkt, welches etwa aus dem Stromnetz kommt“, erläutert Latzel.

Sodann verkenne Carr, dass es komplett gegenläufige Trends zu großen, mächtigen Computerzentren und damit auch zu Anbietern der Leistungserbringer gibt. „Open Source etwa, wo zunehmend auch viele große Unternehmen auf freier, unter der Open Source-Lizenz veröffentlichter Software aufsetzen und diese für ihre Modifikationen und Erweiterungen benutzen“, meint Latzel. Der After Sales-Experte Peter Weilmuenster, Vorstandschef von Bitronic http://www.bitronic.eu, ist davon überzeugt, dass die Netzwerk-Ökonomie zu einer Neuorganisation der Wertschöpfungsketten beitragen wird, mit sehr positiven Effekten für spezialisierte Dienstleister.

„Die Nähe zum Kunden und die Investitionen in Service Design, Nutzerfreundlichkeit, Wissen, in die Veredelung von Produkten sowie Applikationen werden immer wichtiger. Das eröffnet großen und kleinen Unternehmen völlig neue Möglichkeiten“, erklärt Weilmuenster. Den Internet-Pessimismus von Carr könne er nicht teilen.

Heute reiche das klassische Marketing-Instrumentarium der Berieselung von Konsumentenmassen nicht mehr aus, sagt Telemarketing-Pionier Günter Greff. „Konsumenten organisieren sich viel stärker über Social Media-Kanäle, bewerten Produkte, Medien und Dienstleistungen. Sie tauschen sich aus, kritisieren mangelhafte Leistungen und empfehlen positive Kundenerlebnisse weiter. Massenmedien und klassische Werbepropaganda spielen eine immer geringere Rolle. Es setzt sich also der Anbieter durch, der die Kundenwünsche am besten antizipiert. Und es ist ja kein Zufall, dass Steve Jobs mit Apple sogar in Krisenzeiten Rekordgewinne einfährt“, so Greff, Inhaber des Klausurhotels „La Riana“ http://www.hotellariana.com in Perinaldo (Ligurien).

Jobs stelle unter Beweis, welche Chancen heutzutage Seiteneinsteiger haben, mit smarten Produkt- und Servicekonzepten zum Erfolg zu kommen. In den alten Zeiten des Industriekapitalismus konnte man die etablierten Platzhirsche viel schwerer herausfordern.

Diskussion unter: http://www.ne-na.de/die-gedankenwolken-des-nicholas-carr-internetskeptiker-will-google-b-ndigen-und-warnt-vor-der-zentralisierung-des-datennetzes/00165

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