Zürich/gc. Heute gibt es 14 kanonische orthodoxe Kirchen – ihre Geschichte ist ohne die Entwicklung des Byzantinischen Reichs, der Stadt Konstantinopel und der Stellung des Ökumenischen Patriarchen nicht denkbar. Ein Rückblick auf die Entwicklung der Orthodoxie von den römischen Kaisern bis in die Gegenwart.
In der Kirche der ersten Jahrhunderte gab es fünf bedeutende Zentren des Christentums: Rom, Konstantinopel (heute Istanbul), Antiochien (heute Antakya in der Südtürkei), Alexandrien (Ägypten) und Jerusalem. Während Rom das westliche, lateinische Christentum prägte, entwickelte sich Konstantinopel zum Zentrum des östlichen, griechischen Christentums.
Kaiser Konstantin verlegte im Jahr 324 die Hauptstadt des Römischen Reiches nach Byzanz, das er in Konstantinopel umbenannte. Hier berief er und die Kaiser nach ihm die Bischofsversammlungen (Konzilien) der so genannten Alten Kirche ein, die religiöse Angelegenheiten klären und die kirchliche Einheit im Reich wahren sollten.
Durch ihre verbindlichen Entscheide in kirchlichen Streitfragen schlossen die Konzilien aber andere theologische Positionen dezidiert aus. Deshalb ging nach dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 die ostsyrische Kirche ihre eigenen Wege, nach dem Konzil in Chalkedon im Jahr 451 auch die altorientalischen Kirchen.
Entfremdung und Trennung zwischen Ost und WestIm 6. Jahrhundert gab sich der Patriarch von Konstantinopel selbst den Titel „Ökumenischer Patriarch“. Damit nahm er in Anspruch, der erste Patriarch der christlichen Welt zu sein (griech. oikumene = Erdkreis). In Rom protestierten die Päpste jedoch entschieden dagegen. Als der Papst im Jahr 800 Karl den Großen zum römischen Kaiser, krönte, provozierte dies den byzantinischen Kaiser, der sich als alleiniger Herrscher in der Tradition des Römischen Reichs sah.
Wegen solcher politischen und theologischen Konflikte entfremdeten sich das lateinische und das griechische Christentum immer mehr. Im Jahr 1054 zerstritt sich eine römische Delegation mit dem Patriarchen von Konstantinopel, worauf sie sich gegenseitig exkommunizierten. Dieser gegenseitige Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft wird als das Morgenländische Schisma bezeichnet. Als die Kreuzfahrer im Jahr 1204 Konstantinopel eroberten und dort ein lateinisches Kaiserreich errichteten, kam es endgültig zum Bruch.
In den folgenden Jahrhunderten versuchte man immer wieder, die Gemeinschaft zwischen Rom und den orthodoxen Kirchen wiederherzustellen. Da sich nach Unionsverhandlungen nie alle Gläubigen der Gemeinschaft mit Rom anschlossen, entstanden jedes Mal neue Kirchen, die sich von der orthodoxen Kirchengemeinschaft loslösten.
Diese Kirchen behielten die byzantinische Liturgie und griechische Tradition bei, unterstanden aber dem Papst. Heute bezeichnen sich sechs Kirchen als griechisch-katholische respektive unierte Kirchen mit byzantinischem Ritus. Bis heute belastet ihre Existenz die Beziehungen zwischen der Orthodoxie und der Römisch-Katholischen Kirche.
Die byzantinische Mission der slawischen VölkerIm 9. Jahrhundert wirkten byzantinische Missionare in den slawischsprachigen Herrschaftsgebieten des Balkans bis in die Region Böhmen und Mähren hinein. Sie entwickelten das kyrillische Alphabet für die slawischen Sprachen und übersetzten damit theologische und liturgische Bücher. Auf diese Weise gelangte orthodoxes Christentum nach Serbien, in die Bulgarischen Reiche und nach Rumänien.
Im Jahr 988 ließ sich der heidnische Kiewer Großfürst Wladimir taufen und nahm das byzantinische Christentum an. Die Orthodoxie wurde seither zur prägenden religiösen und kulturellen Kraft im Herrschaftsgebiet der so genannten Kiewer Rus und dem späteren Moskauer Reich.
Bis ins 15. Jahrhundert blieb die orthodoxe Kirche in diesen Gebieten vom Ökumenischen Patriarchat abhängig. Erst nachdem sich der in Moskau residierende Metropolit einer Union mit der katholischen Kirche anschließen wollte, setzte ihn der russische Großfürst ab. Damit löste sich die Kirche im Moskauer Reich faktisch von Konstantinopel.
Der Fall Konstantinopels und der Aufstieg MoskausNachdem die Osmanen im Jahr 1453 Konstantinopel eroberten, erhielt der Patriarch von Konstantinopel die Zuständigkeit für alle orthodoxen Gläubigen im Osmanischen Reich. Das so genannte Millet-System gab den nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften eine gewisse Autonomie, doch musste der Ökumenische Patriarch die Steuern für den Sultan einziehen und war damit auch dessen Handlanger.
Während die orthodoxe Kirche im Osmanischen Reich naturgemäß stark eingeschränkt wurde, entfaltete sich das orthodoxe Leben im russischen Raum. 1589 setzte der Zar in Russland den Anspruch auf ein eigenes Moskauer Patriarchat gegenüber Konstantinopel durch. Die aufstrebenden Zaren sahen sich politisch in der Tradition des byzantinischen Kaisertums und glaubten, dass Moskau nach dem Fall von Konstantinopel das „dritte Rom“ sei.
Mit der Expansion Russlands nach Osten missionierte die Russische orthodoxe Kirche im 18. und 19. Jahrhundert von China, Korea und Japan bis nach Alaska und in die USA. In Japan und den USA entstanden daraus eigenständige Kirchen.
Bildung autokephaler Kirchen im 19. JahrhundertAls im 19. Jahrhundert die Nationalstaaten entstanden und nach dem Ersten Weltkrieg das Osmanische Reich unterging, etablierten sich in den neu entstandenen Staaten auch eigene Kirchenstrukturen. So erklärten sich die orthodoxen Kirchen von Griechenland, Serbien, Rumänien und Bulgarien für eigenständig mit einem eigenen Oberhaupt, also für autokephal. Herrschaftsgebiet und Einfluss des Patriarchen von Konstantinopel wurden dadurch immer kleiner.
Der neu gegründete und 1924 säkularisierte türkische Staat brachte das Ökumenische Patriarchat in eine ungewöhnliche Situation: Der Amtssitz des Patriarchen ist zwar weiterhin im Istanbuler Stadtteil Phanar – in einem Staat mit 99 Prozent muslimischer Bevölkerung – die meisten Gläubigen des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel leben aber in Amerika, Australien und Westeuropa.
Orthodoxie und KommunismusOffene Verfolgungen und staatliche Unterdrückung erlebte die orthodoxe Kirche im 20. Jahrhundert in der neu gegründeten Sowjetunion. Das atheistische Sowjetregime schloss Kirchen, Klöster sowie kirchliche Sozial- und Bildungseinrichtungen, es verbot sogar das öffentliche Singen religiöser Lieder.
In den ersten Jahrzehnten der Sowjetherrschaft wurden tausende Priester, Mönche und Nonnen in Arbeitslager deportiert und auch Gläubige verfolgt, verhaftet und hingerichtet. Von 1920 bis 1940 dezimierte das Regime die Zahl der Gläubigen unter den Russen von 90 Prozent auf unter 30 Prozent.
Während des Zweiten Weltkriegs lockerte sich die antireligiöse Diktatur etwas, die Kirche konnte sich neu organisieren, wurde aber vom Staat weiter streng beobachtet und kontrolliert. Mit der Perestroika und dann der Auflösung der Sowjetunion 1991 konnte sich religiöses Leben wieder entfalten – das brachte aber auch neue Konflikte um den Kirchenbesitz und die religiöse Identität.
Begegnungszentrum des Ökumenischen Patriarchats in ChambésyDurch alle politischen Wirren des 20. Jahrhunderts hindurch setzte sich das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel immer wieder für die ökumenische Bewegung und die Einheit der orthodoxen Kirchen ein. Dafür suchte der Patriarch einen Ort nahe beim Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK in Genf.
In Chambésy fördert das Begegnungszentrum des Ökumenischen Patriarchats seit den 1960er Jahren die innerorthodoxen Beziehungen. Im Dezember 2009 fanden hier Vorgespräche statt für die fünfte panorthodoxe vorkonziliare Konferenz, also eine Vorbereitung zur Vorbereitung eines gesamtorthodoxen Konzils. Durch diese Konferenzen ist das 3500-Seelen-Dorf nördlich von Genf zu einem wichtigen Ort in der Geschichte der Orthodoxie geworden.
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