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Deutschland Medien Bericht
Journalismus in Deutschland
Die Zukunft? Frei!
Die Tiefseefische des Journalismus
Redaktion: Dr. Eva-Maria Schnurr
Eingestellt am  27.02.2010 Aktualitätsende 08.03.2010
Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Nachnutzungen, Verwertungen, Kopien (auch auszugsweise) dürfen nur mit dem Einverständnis der Autoren oder des Seitenbetreibers veröffentlicht werden.
Hamburg/gc. Sie sind viele. Sie füllen die Seiten von Tageszeitungen, Magazinen, Fachzeitschriften. Sie machen Beiträge fürs Radio, Sendungen fürs Fernsehen, Dossiers oder Blogs fürs Internet. Freie Journalisten sind überall und bleiben doch oft unbemerkt.

Rund 30.000 sind es, vermuten Wissenschaftler. Vielleicht auch noch mehr – genau kann das niemand sagen, denn freie Journalisten müssen sich nirgendwo melden, die Berufsbezeichnung „Journalist“ ist in Deutschland nicht geschützt.

Freie Journalisten, kurz „Freie“, sind so etwas wie die Tiefseefische des Journalismus: Ein wichtiger Baustein des Ökosystems Medien, kaum erforscht, enorm vielfältig. Manchmal taucht einer von ihnen in der Öffentlichkeit auf, Stars wie der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff oder der Bildblog-Betreiber Stefan Niggemeier. Die meisten aber verrichten unauffällig ihre Arbeit: berichten über kommunale Haushalte, Studentenproteste an der Uni oder die neusten Forschungen über Depression, liefern Empfehlungen für bessere Gehaltsverhandlungen oder Reisetipps aus Kuba.

Unverzichtbar – und immer wichtiger
„Ohne Freie könnten wir unsere Seiten nicht füllen“, sagt Geo Saison-Chefredakteur Lars Nielsen. Gerade kleine Magazine, Ableger von Stern, Zeit oder Brigitte oder unabhängige Hefte wie brand eins, werden mit einer Mini-Festbesetzung und vielen Freien gemacht. Immer stärker entwickeln sich Redaktionen in diese Richtung, so eine aktuelle Studie im Rahmen des Projekts „Wandel bei aktuellen Massenmedien“ am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster: Zwei Drittel der befragten Journalisten sagten, dass ihr Redaktionen in den vergangenen 20 Jahren zunehmend Arbeit ausgelagert hätten.

Etwa zwei Drittel der Freien profitieren davon. Sie arbeiten freiwillig ohne Festanstellung, nehmen in Kauf, dass sie nichts verdienen, wenn sie im Urlaub oder ein paar Tage krank sind, und verteilen ihr Risiko, indem sie für mehrere Auftraggeber tätig sind – meist haben sie zwischen drei und sechs Kunden.

Nur 20 Prozent der Freien, so eine Studie von Journalismusforschern der Universität München von 2008, wünschen sich eigentlich eine Festanstellung. Und fast zwei Drittel sind mit ihrem Berufsdasein sehr oder ausreichend zufrieden. „Frei zu arbeiten ist vom Prinzip her eine tolle Lebensform: Man kann selbst entscheiden, für wen man arbeitet, welche Themen man macht oder welche Medienform man nutzen möchte“, sagt Kai Schächtele, Vorsitzender des Berufsverbands für freie Journalisten, „Freischreiber“, der sich im November 2008 gründete. Wäre da nicht ein Problem: die Honorare.

Arbeiten zu Dumpingpreisen
Die Bezahlung ihrer Arbeit nämlich ist für die meisten Freien alles andere als zufriedenstellend. Im Durchschnitt verdienen sie etwas über 2.000 Euro brutto im Monat – deutlich weniger als Festangestellte. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Honorare nicht erhöht, jetzt, in der Medienkrise, sinken sie bis um 30 Prozent.

Für Tages- und Wochenzeitungen zu arbeiten muss man sich als Freier inzwischen leisten können: Selbst bekannte Autoren wie der ehemalige Spiegel-Redakteur und taz-Mitbegründer Tom Schimmeck bekommen für einen großen Artikel, in dem oft über eine Woche Arbeit steckt, auch bei großen überregionalen Blättern nicht mehr als 200 Euro.

Hinzu kommt, dass sich Auftraggeber immer mehr Rechte abtreten lassen, sodass sie Texte oder Sendungen der Autoren mehrfach verwenden können, aber nur einmal zahlen. Oft verkaufen Verlage die Artikel von Freien sogar an andere Firmen weiter, ohne, dass die Autoren von dem Honorar abbekommen. Eine zweite Nutzung durch die Autoren selbst, früher bei Tageszeitungstexten die einzige Möglichkeit, die kargen Honorare aufzubessern, ist kaum noch möglich. Und so verdient ein Drittel der Freien einer Umfrage des Deutschen Journalistenverbands (DJV) zufolge weniger als 1.000 Euro im Monat – brutto.

Wer kühl kalkuliert, weil Selbstausbeutung auf Dauer kein Geschäftsmodell sein kann, dem bleiben in dieser Situation genau zwei Auswege: Schneller arbeiten, also weniger Zeit in die Recherche stecken. Oder nebenher PR machen, also Pressemitteilungen, Broschüren, Filme oder Artikel in Firmenauftrag, die meist deutlich besser bezahlt sind.

Beides aber gefährdet die journalistische Qualität – und damit die Glaubwürdigkeit der Medienunternehmen, die sich in der Öffentlichkeit mit ihren angeblich hohen Ansprüchen brüsten. Aber so ist es eben im Ökosystem: Gerät das unterste Ende der Nahrungskette unter Druck, spüren auch alle anderen die Folgen.

Die Zukunft? Frei!
Doch immer mehr Freie suchen neue Nischen im System: Weil sie merken, dass sie gemeinsam stärker sind, als alleine, leichter Kunden finden, größere Aufträge bearbeiten können, schließen sich immer mehr von ihnen zu Schwärmen zusammen, zu Netzwerken, Journalistenbüros, Verbänden. Maxie Thielemann, die an der Universität Leipzig ihre Magisterarbeit über Journalistenbüros schrieb, stellte bei ihrer Untersuchung fest, dass Kooperationen unter freien Journalisten zunehmen – und dass solche Teams ihre Zukunft trotz aller Missstände optimistisch sehen. Nicht zuletzt das Internet, von vielen als Auslöser der derzeitigen Medienkrise geschmäht, bieten Freien ganz neue Chancen: Sie können ihre Leser oder Zuschauer ohne Umweg über Verlage direkt erreichen – und ohne große Investitionskosten selbst zu Medienunternehmern werden. Vielleicht ist ihr journalistisches Tiefseedasein am Ende sogar ein Vorteil für die Freien: Die biologische Evolution hat schließlich auch in der Tiefsee begonnen.
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Dieser Artikel erschien erstmals im Auftrag des Goethe-Instituts e.V. unter http://www.goethe.de. Den Orginalbeitrag lesen Sie hier: http://www.goethe.de/wis/med/dos/jou/de5428078.htm
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Copyright
Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion
Dezember 2009
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Dr. Eva-Maria Schnurr ist freie Wissenschaftsjournalistin in Hamburg, Mitglied von Plan 17 und stellvertretende Vorsitzende von Freischreiber e. V.

Kontakt:
Dr. Eva-Maria Schnurr
Englische Planke 6
20459 Hamburg
Tel.: 040-228 159 92
Fax: 040-228 159 112
schnurr@plan17.de
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