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Russland Politik Hintergrundbericht
Milliarden-Budget für nationalen Projekte
Igor Schuwalow
Der zweite Mann der russischen Regierung
Redaktion: Jürg Vollmer / maiak.info
Eingestellt am  28.03.2010 Aktualitätsende 06.04.2010
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Zürich/gc. Igor Schuwalow ist als Politiker ein durchsetzungsfähiger und entscheidungsfreudiger Manager. Der „zweite Mann“ in der Putin-Regierung hat ein Milliarden-Budget für die nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Straßen- und Wohnungsbau in Russland.

Der liberale Exot aus Sibirien In der russischen Regierung ist  Igor Schuwalow ein Exot. Er kommt als eines der wenigen Regierungsmitglieder nicht aus dem St. Petersburger Putin-Zirkel und ist kein Silowik. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist er „der zweite Mann“ direkt nach Ministerpräsident Wladimir Putin. Igor Schuwalow wurde 1967 sprichwörtlich am Ende der Welt geboren.  Bilibino heißt der kleine Ort am  Ochotkischen Meer, ursprünglich ein Durchgangslager für Stalins Zwangsarbeiter im äußersten Nordosten Sibiriens. Außerhalb des Ortes gibt es keine Straßen, nur weite Tundra. Erst nach dem Wehrdienst bei den sowjetischen Streitkräften kam Igor Schuwalow nach Moskau. Während seines Jura-Studiums an der  Lomonossow-Universität implodierte die Sowjetunion, Schuwalow schloss 1993 unbeeindruckt mit Bestnoten ab und startete eine Traum-Karriere im neuen Russland. Er wurde Rechtsberater im Außenministerium und ab 1993 in einer Consulting-Agentur, von wo ihn Kreml-Bankier  Alexander Mamut 1995 als Direktor in seine Anwaltskanzlei ALM holte. 1997 wechselte Schuwalow zurück in den Staatsdienst und wurde Abteilungsleiter in der Vermögensverwaltungsbehörde.

1998 ernannte ihn Ministerpräsident  Wiktor Tschernomyrdin zum stellvertretenden Minister für Staatseigentum, 2000 zum Vorsitzenden des Fonds für Staatseigentum. Als  Michail Kasjanow im Mai 2000 Ministerpräsident wurde, beförderte er Schuwalow zum Leiter des Apparats der Regierung.

Schuwalow baut Medwedew das Sprungbrett zum Präsidentenamt
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Sibirer auch für den „neuen Zaren“ im Kreml nicht zu übersehen. Präsident  Wladimir Putin ernannte Igor Schuwalow im Mai 2003 zum stellvertretenden Leiter der  Präsidialverwaltung, die von einem noch weitgehend unbekannten  Dmitri Medwedew geführt wurde.

Gemeinsam gründeten Schuwalow und Medwedew die zukunftsorientierten „nationalen Projekte“ zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Strassen- und Wohnungsbau. Eine Aufgabe, mit der sich die beiden liberalen Köpfe innen- und außenpolitisch profilieren konnten. Schuwalow baute auf dem Beton-Fundament der Nomenklatura für Medwedew das Sprungbrett zum Präsidentenamt.

Der liberale Schuwalow mitten unter St. Petersburgern und Silowiki
Als Wladimir Putin nach der strategisch geplanten Wahl von Dmitri Medwedew zum Präsidenten im Mai 2008 vom Kreml elegant in den Regierungssitz im Weißen Haus wechselte, nahm er Schuwalow mit. Das ist außergewöhnlich, weil die meisten Putin-Vertrauten wie er selbst aus St. Petersburg kommen und  Silowiki sind, also ehemalige Militärs und Geheimdienstler.

Igor Schuwalow dagegen ist ein dynamischer und moderner Wirtschaftsliberaler. Trotzdem wird er bei einem unerwarteten Ausscheiden des Ministerpräsidenten dessen Amt übernehmen und ist damit „der zweite Mann“ in der Putin-Regierung. Jetzt schon hat Schuwalow alle Ministerien in der Hand, welche die von ihm gegründeten „nationalen Projekte“ mit einem gigantischen Budget aus den russischen Öl- und Gas-Einnahmen in die Praxis umsetzen.

Schuwalow ist kein Politiker, sondern Manager
Igor Schuwalow ist kein lavierender Politiker, sondern ein effizienter Manager – und lässt sich von seinen Zielen nicht abbringen. Kurzfristig will Schuwalow Russland endlich in die  Welthandelsorganisation WTO bringen, langfristig will er eine umfassende Modernisierung des Landes erreichen.

Von seinen Mitarbeitern wird Igor Schuwalow geachtet, gleichzeitig aber gefürchtet, weil er auch ihnen seinen calvinistischen Arbeitsethos abverlangt: Er ist am Morgen der Erste im Büro, duldet keine Schlamperei, ist durchsetzungsfähig und entscheidungsfreudig. Allesamt nicht gerade russische Kernkompetenzen.

Umgekehrt lässt er seine Mitarbeiter in Ruhe arbeiten, solange sie ihm gute Arbeit liefern. „Ein offener Dialog mit den Mitarbeitern ist nur mit eiserner Disziplin möglich“, erklärt Schuwalow – selbst korrekt bis in die Bügelfalten – und stellt seinen Fahrer lautstark in den Senkel, weil dieser nicht mit weißem Hemd und Krawatte zur Arbeit erscheint.

Gegen marode Infrastrukturen, Ämterwillkür und Korruption
Im persönlichen Gespräch wirkt Igor Schuwalow anfangs eher frostig, demonstrativ zieht er seine Uhr vom Handgelenk und legt sie vor sich auf den Tisch. Mit seinen eisblauen Augen nimmt er den Gesprächspartner sofort ins Visier und verfolgt jede Bewegung, so wie ein Jäger das Wild spiegelt. Er nimmt aber auch jedes Wort auf und antwortet ohne Umschweife.

Bei kritischen Fragen zur Bürokratie und Korruption in Russland kommt Schuwalow sogar ins Feuer: „Ich sage es tausendmal, der Schutz des Eigentums ist die wichtigste Aufgabe des Staates!“ Er werde den Einfluss des Staates schon in den nächsten Monaten drastisch beschränken, die Beamten an der Spitze der Staatskonzerne und der Staatskorporationen durch qualifizierte Manager ersetzen.

Igor Schuwalow will und muss den Kampf gegen marode Infrastrukturen, Ämterwillkür und Korruption gewinnen, um Investoren nach Russland zu holen. „Denn ohne ausländische Investoren kann sich Russlands Wirtschaft nicht modernisieren“. Ein Satz, den die Russen nicht gerne hören, weil er dem Selbstbild des „großen und starken Russland“ widerspricht. Dass Schuwalow ihn so gelassen ausspricht, zeugt von seinem Selbstvertrauen – aber auch vom starken Rückhalt, den er bei Dmitri Medwedew und Wladimir Putin genießt.

Den Originalbeitrag lesen Sie hier: http://www.maiak.info/igor-schuwalow-russland-vize-ministerpraesident

HINTERGRUND

Zwei Probleme
„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Straßen“, erklären in Russland nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch liberale Regierungsmitglieder, die immer mehr Einfluss gewinnen. Zu ihnen gehört Igor Schuwalow, der als Erster Vize-Ministerpräsident 200 Milliarden Dollar investieren kann in die Nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft sowie Wohnungs- und Straßenbau.

Mit diesem ehrgeizigen Reform-Programm wollen Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin das größte Land der Welt bis 2020 auf den richtigen Weg bringen.

Russlands Reform-Programm der Nationalen Projekte
„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Strassen“ ist ein  Gogol-Zitat, das im größten Land der Welt gerne benutzt wird. In Russisch tönt der Satz noch schöner, weil Duraki (Dummköpfe) und Dorogi (Straßen) ähnlich klingen. Diese schonungslose Analyse der Hauptprobleme Russlands kommt nicht nur von der Opposition, sondern neu auch aus der Regierung.

Im Januar 2006 setzte der damalige Präsident  Wladimir Putin das ehrgeizige Ziel, „Russland bis 2020 zu einem der lebenswertesten Länder der Welt zu entwickeln“. Zwei damals noch unbekannte Köpfe lancierten daraufhin ein umfassendes Reform-Programm: Der Leiter der Präsidialverwaltung  Dmitri Medwedew und dessen Stellvertreter Igor Schuwalow gründeten die  Nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft sowie Wohnungs- und Straßenbau.

Nach der Wahl Medwedews zum Präsidenten zog Putin als Ministerpräsident in den Regierungssitz und ernannte Schuwalow zum Ersten Vize-Ministerpräsidenten. Dass der Weg vom  Kreml in das  Weiße Haus geradewegs über die achtspurige Nowy-Arbat-Straße nach Westen führt, hat Symbolcharakter: Der  Nowy-Arbat ist die erste Meile der wichtigsten Straßenverbindung Russlands in den Westen Europas. Und mit Igor Schuwalow arbeitet im Weißen Haus ein effizienter Manager westlicher Prägung, der Russland in eine prosperierende Zukunft führen will.

Am „Hebel“ des milliardenschweren Reservefonds sitzt Igor Schuwalow
Schöne Worte haben die Russen schon oft gehört, deshalb überraschen weniger die neuen Töne aus der Regierung, als vielmehr Igor Schuwalows fachliche und politische Kompetenz, die Nationalen Projekte in die Tat umzusetzen. Das Geld dazu kann er aus dem 2004 geschaffenen  Reservefonds nehmen, der mittlerweile 200 Milliarden Euro aus den russischen Erdöl- und Erdgas-Einnahmen enthält. Zum Beispiel für den Bau von Nationalstraßen.

Außerhalb der Metropolen ist Russlands Straßennetz auf dem Niveau eines Entwicklungslandes, weiß auch Igor Schuwalow. Er ist neun Zeitzonen von Moskau entfernt im sibirischen Landkreis  Bilibino aufgewachsen, der vier Mal so groß ist wie die Schweiz – aber praktisch über kein Straßennetz verfügt.

Schuwalow baut deshalb bis 2020 mit jährlich 12 Milliarden Euro das russische Nationalstraßennetz aus. Und es gehört zu den größten Herausforderungen dieser Aufgabe, dass mit diesem Geld tatsächlich Straßen gebaut – und nicht die Bankkonten von Bauherren und Behörden gefüllt werden.

Schuwalow setzt deshalb beim Straßenbau auf  Public Private Partnerships mit ausländische Investoren. Wie zu Zeiten von Peter dem Großen braucht Russland für diese große Aufgabe westliche Partner, deren Kapital und Know-how willkommen ist.

Das Vorbild sind die Reformen von Zar Peter dem Großen
Wie Zar  Peter der Große orientiert sich die heutige russische Regierung bei ihren Reformen an westeuropäischen Maßstäben. Und wie der Zar beim Bau der Stadt St. Petersburg das Sumpfgebiet an der Mündung der Newa trockenlegen musste, kämpft Schuwalow zwei Jahrhunderte später gegen einen schier unüberwindbaren Sumpf – jenen der Korruption und Bürokratie, beim Straßen- wie beim Wohnungsbau.

So wurden in einer ersten Phase der Nationalen Projekte türkische und osteuropäische Firmen mit dem Wohnungsbau beauftragt. Deren Gleichung lautete, je billiger die Bauqualität, desto größer der Gewinn für Bauherren und Behörden. Diese Gleichung ließ eine Variable außer Acht, nämlich dass sich gute Bauqualität langfristig auszahlt. Die Wohnbauten für die Bevölkerung waren oft schon verlottert, bevor die Korruptions-Profiteure ihre Villen fertig gebaut hatten. Wie Peter der Große arbeitet die Regierung heute deshalb lieber mit westeuropäischem Know-how.

Überhaupt gibt es viele Parallelen der Nationalen Projekte zu den Reformen des Zaren um 1700. Schon Peter der Große führte im Russischen Reich Bildungs- und Gesundheitsreformen durch, forcierte den Infrastrukturbau und unterstützte die Gründung von Privatunternehmen. Nur das zaristische Verbot des Tragens von Bärten nimmt Schuwalow nicht wörtlich, schneidet dafür aber in der wuchernden russischen Verwaltung alte Zöpfe ab. Und im Gegensatz zum einsamen Reform-Zaren stehen hinter Schuwalow der Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin.

Medwedew, Putin und Schuwalow regieren Russland mit positiver Konditionierung
„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Straßen“ – das Gogol-Zitat provoziert Oppositionspolitiker wie  Wladimir Ryschkow, der glaubt, Russland habe ein anderes Hauptproblem: „Das Problem sind diese Ganoven, die von oben bis unten unser Land regieren. Was bei Gogol vor 170 Jahren aktuell war und worüber er in  ,Der Revisor’ und  ,Die toten Seelen’ schrieb, ist immer noch das größte Problem von Russland.“

Tatsächlich kann man ein politisches System über Nacht ändern – aber nicht das Denken in den Köpfen der Menschen. Die Russen sind müde von den Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte, sie wollen im Moment nur noch Sicherheit. Die russische Regierung hat aus  Michail Gorbatschows Fehlern in den frühen 1990er Jahren gelernt und balanciert heute sorgfältig zwischen Wünschbarkeit und Machbarkeit.

Mit Rückendeckung von Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin setzt Schuwalow offenbar auf positive Konditionierung: Gutes Verhalten wird sofort belohnt und damit bestärkt, weniger positives Verhalten wird ignoriert – und nur äußerst negatives Verhalten bestraft. Diese Methode braucht viel Zeit, welche die Opposition in Russland und viele Beobachter im Ausland der Regierung nicht geben wollen. Sie vergessen dabei leicht, dass die noch junge Demokratie einige Defizite hat, eine Ressource hat Russland aber zu Genüge: Zeit.

Den Originalbeitrag lesen Sie hier: http://www.maiak.info/igor-schuwalow-russland-reform-strassen

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