Zürich/gc. Igor Schuwalow ist als Politiker ein durchsetzungsfähiger und entscheidungsfreudiger Manager. Der „zweite Mann“ in der Putin-Regierung hat ein Milliarden-Budget für die nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Straßen- und Wohnungsbau in Russland.
Der liberale Exot aus Sibirien In der russischen Regierung ist Igor Schuwalow ein Exot. Er kommt als eines der wenigen Regierungsmitglieder nicht aus dem St. Petersburger Putin-Zirkel und ist kein Silowik. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist er „der zweite Mann“ direkt nach Ministerpräsident Wladimir Putin. Igor Schuwalow wurde 1967 sprichwörtlich am Ende der Welt geboren. Bilibino heißt der kleine Ort am Ochotkischen Meer, ursprünglich ein Durchgangslager für Stalins Zwangsarbeiter im äußersten Nordosten Sibiriens. Außerhalb des Ortes gibt es keine Straßen, nur weite Tundra. Erst nach dem Wehrdienst bei den sowjetischen Streitkräften kam Igor Schuwalow nach Moskau. Während seines Jura-Studiums an der Lomonossow-Universität implodierte die Sowjetunion, Schuwalow schloss 1993 unbeeindruckt mit Bestnoten ab und startete eine Traum-Karriere im neuen Russland. Er wurde Rechtsberater im Außenministerium und ab 1993 in einer Consulting-Agentur, von wo ihn Kreml-Bankier Alexander Mamut 1995 als Direktor in seine Anwaltskanzlei ALM holte. 1997 wechselte Schuwalow zurück in den Staatsdienst und wurde Abteilungsleiter in der Vermögensverwaltungsbehörde.
1998 ernannte ihn Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin zum stellvertretenden Minister für Staatseigentum, 2000 zum Vorsitzenden des Fonds für Staatseigentum. Als Michail Kasjanow im Mai 2000 Ministerpräsident wurde, beförderte er Schuwalow zum Leiter des Apparats der Regierung.
Schuwalow baut Medwedew das Sprungbrett zum PräsidentenamtSpätestens zu diesem Zeitpunkt war der Sibirer auch für den „neuen Zaren“ im Kreml nicht zu übersehen. Präsident Wladimir Putin ernannte Igor Schuwalow im Mai 2003 zum stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, die von einem noch weitgehend unbekannten Dmitri Medwedew geführt wurde.
Gemeinsam gründeten Schuwalow und Medwedew die zukunftsorientierten „nationalen Projekte“ zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Strassen- und Wohnungsbau. Eine Aufgabe, mit der sich die beiden liberalen Köpfe innen- und außenpolitisch profilieren konnten. Schuwalow baute auf dem Beton-Fundament der Nomenklatura für Medwedew das Sprungbrett zum Präsidentenamt.
Der liberale Schuwalow mitten unter St. Petersburgern und SilowikiAls Wladimir Putin nach der strategisch geplanten Wahl von Dmitri Medwedew zum Präsidenten im Mai 2008 vom Kreml elegant in den Regierungssitz im Weißen Haus wechselte, nahm er Schuwalow mit. Das ist außergewöhnlich, weil die meisten Putin-Vertrauten wie er selbst aus St. Petersburg kommen und Silowiki sind, also ehemalige Militärs und Geheimdienstler.
Igor Schuwalow dagegen ist ein dynamischer und moderner Wirtschaftsliberaler. Trotzdem wird er bei einem unerwarteten Ausscheiden des Ministerpräsidenten dessen Amt übernehmen und ist damit „der zweite Mann“ in der Putin-Regierung. Jetzt schon hat Schuwalow alle Ministerien in der Hand, welche die von ihm gegründeten „nationalen Projekte“ mit einem gigantischen Budget aus den russischen Öl- und Gas-Einnahmen in die Praxis umsetzen.
Schuwalow ist kein Politiker, sondern ManagerIgor Schuwalow ist kein lavierender Politiker, sondern ein effizienter Manager – und lässt sich von seinen Zielen nicht abbringen. Kurzfristig will Schuwalow Russland endlich in die Welthandelsorganisation WTO bringen, langfristig will er eine umfassende Modernisierung des Landes erreichen.
Von seinen Mitarbeitern wird Igor Schuwalow geachtet, gleichzeitig aber gefürchtet, weil er auch ihnen seinen calvinistischen Arbeitsethos abverlangt: Er ist am Morgen der Erste im Büro, duldet keine Schlamperei, ist durchsetzungsfähig und entscheidungsfreudig. Allesamt nicht gerade russische Kernkompetenzen.
Umgekehrt lässt er seine Mitarbeiter in Ruhe arbeiten, solange sie ihm gute Arbeit liefern. „Ein offener Dialog mit den Mitarbeitern ist nur mit eiserner Disziplin möglich“, erklärt Schuwalow – selbst korrekt bis in die Bügelfalten – und stellt seinen Fahrer lautstark in den Senkel, weil dieser nicht mit weißem Hemd und Krawatte zur Arbeit erscheint.
Gegen marode Infrastrukturen, Ämterwillkür und KorruptionIm persönlichen Gespräch wirkt Igor Schuwalow anfangs eher frostig, demonstrativ zieht er seine Uhr vom Handgelenk und legt sie vor sich auf den Tisch. Mit seinen eisblauen Augen nimmt er den Gesprächspartner sofort ins Visier und verfolgt jede Bewegung, so wie ein Jäger das Wild spiegelt. Er nimmt aber auch jedes Wort auf und antwortet ohne Umschweife.
Bei kritischen Fragen zur Bürokratie und Korruption in Russland kommt Schuwalow sogar ins Feuer: „Ich sage es tausendmal, der Schutz des Eigentums ist die wichtigste Aufgabe des Staates!“ Er werde den Einfluss des Staates schon in den nächsten Monaten drastisch beschränken, die Beamten an der Spitze der Staatskonzerne und der Staatskorporationen durch qualifizierte Manager ersetzen.
Igor Schuwalow will und muss den Kampf gegen marode Infrastrukturen, Ämterwillkür und Korruption gewinnen, um Investoren nach Russland zu holen. „Denn ohne ausländische Investoren kann sich Russlands Wirtschaft nicht modernisieren“. Ein Satz, den die Russen nicht gerne hören, weil er dem Selbstbild des „großen und starken Russland“ widerspricht. Dass Schuwalow ihn so gelassen ausspricht, zeugt von seinem Selbstvertrauen – aber auch vom starken Rückhalt, den er bei Dmitri Medwedew und Wladimir Putin genießt.
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Zwei Probleme„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Straßen“, erklären in Russland nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch liberale Regierungsmitglieder, die immer mehr Einfluss gewinnen. Zu ihnen gehört Igor Schuwalow, der als Erster Vize-Ministerpräsident 200 Milliarden Dollar investieren kann in die Nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft sowie Wohnungs- und Straßenbau.
Mit diesem ehrgeizigen Reform-Programm wollen Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin das größte Land der Welt bis 2020 auf den richtigen Weg bringen.
Russlands Reform-Programm der Nationalen Projekte„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Strassen“ ist ein Gogol-Zitat, das im größten Land der Welt gerne benutzt wird. In Russisch tönt der Satz noch schöner, weil Duraki (Dummköpfe) und Dorogi (Straßen) ähnlich klingen. Diese schonungslose Analyse der Hauptprobleme Russlands kommt nicht nur von der Opposition, sondern neu auch aus der Regierung.
Im Januar 2006 setzte der damalige Präsident Wladimir Putin das ehrgeizige Ziel, „Russland bis 2020 zu einem der lebenswertesten Länder der Welt zu entwickeln“. Zwei damals noch unbekannte Köpfe lancierten daraufhin ein umfassendes Reform-Programm: Der Leiter der Präsidialverwaltung Dmitri Medwedew und dessen Stellvertreter Igor Schuwalow gründeten die Nationalen Projekte zur Förderung von Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft sowie Wohnungs- und Straßenbau.
Nach der Wahl Medwedews zum Präsidenten zog Putin als Ministerpräsident in den Regierungssitz und ernannte Schuwalow zum Ersten Vize-Ministerpräsidenten. Dass der Weg vom Kreml in das Weiße Haus geradewegs über die achtspurige Nowy-Arbat-Straße nach Westen führt, hat Symbolcharakter: Der Nowy-Arbat ist die erste Meile der wichtigsten Straßenverbindung Russlands in den Westen Europas. Und mit Igor Schuwalow arbeitet im Weißen Haus ein effizienter Manager westlicher Prägung, der Russland in eine prosperierende Zukunft führen will.
Medwedew, Putin und Schuwalow regieren Russland mit positiver Konditionierung„Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Straßen“ – das Gogol-Zitat provoziert Oppositionspolitiker wie Wladimir Ryschkow, der glaubt, Russland habe ein anderes Hauptproblem: „Das Problem sind diese Ganoven, die von oben bis unten unser Land regieren. Was bei Gogol vor 170 Jahren aktuell war und worüber er in ,Der Revisor’ und ,Die toten Seelen’ schrieb, ist immer noch das größte Problem von Russland.“
Tatsächlich kann man ein politisches System über Nacht ändern – aber nicht das Denken in den Köpfen der Menschen. Die Russen sind müde von den Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte, sie wollen im Moment nur noch Sicherheit. Die russische Regierung hat aus Michail Gorbatschows Fehlern in den frühen 1990er Jahren gelernt und balanciert heute sorgfältig zwischen Wünschbarkeit und Machbarkeit.
Mit Rückendeckung von Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin setzt Schuwalow offenbar auf positive Konditionierung: Gutes Verhalten wird sofort belohnt und damit bestärkt, weniger positives Verhalten wird ignoriert – und nur äußerst negatives Verhalten bestraft. Diese Methode braucht viel Zeit, welche die Opposition in Russland und viele Beobachter im Ausland der Regierung nicht geben wollen. Sie vergessen dabei leicht, dass die noch junge Demokratie einige Defizite hat, eine Ressource hat Russland aber zu Genüge: Zeit.
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